Bei dem traditionellen weihnachtlichen Zusammentreffen in der Oberförsterei Uvagla ergreift der „alte Baron von Güldenklee auf Papenhagen“, der „als bester Redner des Kreises“ galt, das Wort. (Kap. 19) Er bringt einen Toast auf den Gastgeber, den Oberförster Ring, aus. Dieser Ring stehe noch mit Gott für König und Vaterland ein. Dies gelte aber nicht für die „Judengeschichte“ mit den drei Ringen. (Hierzu im Buch 2. Aufl. „Die sehr eigenwillige Ringparabel des Baron von Güldenklee“ auf den Seiten 198 – 203.)
Für die zeitgenössische Leserschaft des Romans ordnet sich der Toast des Barons in die Welle antisemitischer Angriffe auf Lessing ein, dessen hundertster Todestag sich im Februar 1881 jährte. Der Baron spricht von Lessings Drama „Nathan der Weise“ als der Judengeschichte mit den drei Ringen. In Eugen Dührings 1881 erschienenen Kampfschrift zur Judenfrage ist von Lessings Drama als einem „platten Judenstück“ die Rede.
Eine besondere Position vertritt in dieser Auseinandersetzung der Historiker Gustav Buchholz in der Zeitschrift Die Grenzboten. Er verteidigt das „Vermächtniß Lessings“ gegen die „unerhörten Mißbrauch, der mit dem Namen Lessings“ von jüdischer Seite getrieben werde.
Lessingstudien – Zur Säkularfeier von Lessings Todestag, 15. Februar 1881
„In den Parteikämpfen unsrer Tage ertönt kein Name häufiger als der Lessings. Sollen wir uns dessen freuen, sollen wir es bedauern? Viel gepriesen und viel geschmäht zu werden, war ja stets das Schicksal dieses streitbaren Mannes, zu seinen Lebzeiten so gut wie bei den nachfolgenden Geschlechtern. Aber wenn jetzt der Säculartag seines Todes heranrückt und die Nation uneiniger als je findet in der Würdigung der Grundanschauungen seines Geistes, so ist das im Interesse unsers Volkslebens tief zu beklagen. Es ist ein schlimmes Zeichen, wenn ein Volk über dem Erbe seiner großen Männer hadert. Und wohin soll es führen, wenn sich Stimmen unter uns erheben dürfen – glücklicher Weise bisher noch vereinzelt – , welche die Manen dieses edlen Mannes aufs schimpflichste besudeln, und wenn man gar auf der andern Seite im Pathos sittlicher Entrüstung die hohe Phrase vom ‚Vermächtniß Lessings‘ unter das Volk zu werfen wagt, um geistig unmündige zu schrecken, und Toleranz predigt in einem Tone, der aller Toleranz Hohn spricht? Da ist es an der Zeit, ernste Verwahrung einzulegen gegen den unerhörten Mißbrauch, der mit dem Namen Lessings getrieben wird. Dieser Name, den wir mit Stolz und mit Ehrfurcht zugleich aussprechen, sollen wir es dulden, daß er einem Theile unserer Nation entfremdet, daß er zum Schiboleth einer Partei gemacht wird? Und mit welchem Rechte dazu gemacht wird? ‚Sollen Treu und Redlichkeit unter zwei Nationen herrschen, so müssen beide gleichviel dazu beitragen.‘ So rief der zwanzigjährige Lessing den Christen seines Zeitalters zu. Und es sollte seinem Geiste widersprechen, wenn den Juden von heute dieselben Worte mahnend ins Gedächtniß zurückgerufen werden? Ich wage zu behaupten, daß diejenigen Männer, welche sich der Nation gegenüber ohne Noth zu Hütern seines Vermächtnisses aufgeworfen haben, dem wahren Sinne eben dieses Vermächtnisses weit weniger nahe kommen als ihre Gegner.“ (Buchholz 1881, S. 233f.)
Einen Rückschluss auf die Schärfe, mit der die gesellschaftliche Debatte um Lessing geführt wird, erlaubt die satirische Auseinandersetzung mit den antisemitischen Angriffen auf Lessing im Kladderadatsch.
Der Lessing wie er dereinst in einer christlich-social-agrarischen Literaturgeschichte dargestellt werden wird.
Wann und wo der Lessing eigentlich geboren wurde, ist, soviel wir wissen, niemals genau ermittelt worden. In der That verlohnt es sich aber auch nicht, deswegen Nachforschungen anzustellen; denn daß er ein Jude war, geht aus dem Charakter seiner verschiedenen Brandschriften mit unzweifelhafter Evidenz hervor. Sein Vorname Ephraim deutet ganz fraglos auf die Provinz Posen hin; er wird also wohl in Meseritz oder Tirschtiegel als Sohn eines Wucherers das Licht der Welt erblickt haben.
Von dort ist er dann nach Berlin gekommen und hat sich, nachdem er im Hasenfellhandel große Geldsummen ‚erworben hatte, der ‚schönen Literatur‘ (sic!) zugewandt. Seine literarische Laufbahn begann er, was sehr bezeichnend ist, als Mitarbeiter der damals schon weitberüchtigten Vossischen Zeitung, für welche er aufreizende Leitartikel und ohne Zweifel auch Reclamen für Erfinder von Malzfabrikaten und Haarwuchsbeförderungsölen verfaßte. […]
Seine Lebensweise war eine sehr unordentliche. Rheinwein, den der gutmütige Gleim ihm zuschickte, trank er ankerweise, und dem Kartenspiel war er überaus ergeben. Daß er stets falsche Würfel bei sich führte, läßt sich zwar nicht nachweisen, ist aber in hohem Grade wahrscheinlich. […]
Das Nonplusultra aller Lessing’schen Mauschelstücke ist aber doch ‚Nathan der Weise‘ (?), ein Stück, welches den Meisten unserer Leser jetzt wohl kaum noch, wär’s auch dem Namen nach, bekannt sein dürfte. Wir wollen vom Inhalt dieser unsaubern jüdischen Posse nur so viel verrathen, daß es sich darin um nachgemachte Ringe handelt. Wahrscheinlich stand Lessing zur Zeit, als er den ‚Nathan‘ zusammenschmierte, in Beziehung zu einer Talmigoldwaarenhandlung.
Die sonstigen Werke Lessings sind wo möglich noch schwächer als seine dramatischen Sudeleien. Darunter ist eine Schrift über Laokoon. Wer war – so fragen wir uns verwundert – wer war Laokoon? Darauf wird ebenso wenig Einer unserer Leser uns Antwort geben können, als wir selbst diese schwierige Frage zu beantworten wissen. Vermutlich aber gab es damals in Hamburg ein Bankhaus ‚Laokoon und Söhne‘, an das Lessing sich heranzuschlängeln suchte, um einen Raubgewinn bei demselben zu realisiren. […]
Zweimal Lessing-Feier am 15. Februar 1881 in Berlin
Am 15. Februar 1881 findet sich in der Norddeutschen Zeitung ein Reklamegedicht zur Lessing-Feier. Dazu folgende Hintergrundinformation:
„Auf der Leipziger Straße 110 befindet sich eines der bekanntesten Berliner Kaufhäuser für Textilien. Bekannt ist es insbesondere dadurch, daß die Gattin des Inhabers regelmäßig Reklamegedichte in Berliner Mundart verfaßt, die in den Zeitungen erscheinen, an Litfaßsäulen (einer Berliner Erfindung!) angeschlagen und sogar in eigenen Gedichtbänden herausgebracht werden. Immer wieder werden in den Gedichten aktuelle Ereignisse aufgegriffen, um in einem Hinweis auf die neuesten Angebote zu endigen.“ Freisinnige Zeitung 1881- Der Blog des Eugen-Richter-Instituts
In einem Brief vom 4. Mai 1897 an den Schriftsteller und Publizisten Fritz Mauthner erwähnt Fontane, dass er diese an Litfaßsäulen veröffentlichten Reklamegedichte las. Er schreibt: Mein treues Studium der ‚Goldenen Hundertzehn‘ dieser meiner (jetzt wenigstens) bevorzugten Literaturquelle, hat sich gestern Abend an einer zugigen Ecke, wo ich Dr. Alfred Friedmann traf, ganz besonders belohnt. (Fontane-Blätter 1985/H. 1, S. 19
Am 16. Februar 1881 berichtet die Norddeutsche Zeitung, dass das Königliche Schauspielhaus den hundertjährigen Todestag Lessings durch eine Aufführung seiner Emilia Galotti in Anwesenheit des Kaiser und der Kaiserin sowie der kronprinzlichen Herrschaften gefeiert habe. Die Auswahl dieses Stückes ist nicht ohne Bedeutung, denn folgt man der Auffassung des Publizisten Fritz Mauthner, dann ist eine „Lessingfeier zu veranstalten und den Nathan nicht aufzuführen, […] beinahe eine Demonstration.“ (Mauthner 1881, S. 2)