Im Nationalpanorama in Berlin wurde von Februar 1881 bis Dezember 1883 der „Sturm auf Saint-Privat“, eine Darstellung der Schlacht von Gravelotte aus dem Krieg 1870/71, gezeigt. (Im Buch 2. Aufl. dazu „Panoramen als ein fotorealistisches Massenmedien“ auf den Seiten149 – 160.) Auf der Rückkehr von ihrer Hochzeitsreise besucht das Ehepaar Instetten in Begleitung von Vetter Briest dieses Schlachten-Panorama. Bei der Ankunft in Kessin spricht Innstetten Effis Nervosität an, die er u.a. auf den Besuch des St. Privat-Panoramas zurückführt. Die Bemerkung Instettens und Effis Reaktion lässt sich besser einordnen, wenn man einen zeitgenössischen Kommentar zu diesem Rundgemälde hinzuzieht.
„Wollten wir über den Eindruck berichten, den die furchtbare Wirklichkeit des Bildes hervorrief, so würden eine Menge individueller Auffassungen zu Tage treten müssen. Eine furchtbare Sache ist es um den Krieg selbst für den Schlachtenbummler, der ihn im Panorama aufsucht.“ (o. V. 1881, S. 197)
Die Schaustellung von Rundgemälden war an sich nicht neu, sondern erfreute sich in Berlin bereits Anfang des 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit, war dann aber aus der Mode gekommen. (Deutschen Bauzeitung Nr. 19/1881, S. 115)
Erst im patriotischen Überschwang nach dem Sieg über Frankreich wurden Rundgemälde, die Ereignisse aus diesem Krieg 1870/71 darstellten, in Deutschland noch einmal große Publikumserfolge.
Neu waren dabei die Anforderungen an die „fotorealistische“ Wiedergabe der Ereignisse. So wird in einem Bericht zur Eröffnung des Nationalpanoramas die realitätsgetreue Wiedergabe des Schlachtfeldes hervorgehoben.„Von großer Wahrheit ist die Ausführung des landschaftlichen Theils, […]. Wer einmal dort gewesen ist, wird auf dem Bilde jede Allee, jeden Weg, jede Bodensenkung oder -erhebung wiedererkennen.“ (1. Beilage der „Berliner Börsen-Zeitung“ Nr. 97 vom 23. Februar 1881, S. 8)
Um diese Realitätsnähe zu erreichen, besuchten die Künstler, die zum Teil schon als künstlerische „Kriegsberichterstatter“ den Feldzug begleitet hatten, das Schlachtfeld und fotografierten das Terrain. Die anhand dieser Fotografie entwickelten Skizzen wurden auf Glasplatten fotografiert und mit Hilfe der Camera obscura auf die Leinwand im Panoramagebäude projiziert und auf die Leinwand übertragen. Das Schlachtgeschehen als solches wurde mit Hilfe der offiziellen Kriegstagebücher, privater Aufzeichnungen und der Befragung von Beteiligten rekonstruiert.
Für die reportagehafte Wiedergabe des Geschehens musste der entscheidende Moment des Kampfgeschehens ausgewählt werden. Der „entscheidende Moment“ der Schlacht von Gravelotte aus preußischer Sicht war aber nicht unbedingt der, der den Anteil der sächsischen Regimenter am Sieg ins rechte Licht rückte. Liest man eine Beschreibung des in Berlin ausgestellten Panoramas wird verständlich, warum man in Dresden eine eigene Darstellung des „Sturms auf St. Privat“ in Auftrag gab.
„Den Gegenstand des Panoramas bildet bekanntlich der entscheidende Angriff auf St. Privat, welcher am Nachmittage des 18. Augusts das blutige Drama von Gravelotte zu Ende brachte. Ein Haus im Vordergrunde ist ganz von Granaten durchlöchert. Die Löcher dienen den Franzosen, welche das Haus besetzt halten, als Schießscharten, aus denen sie einen verhängnisvollen Kugelregen auf die im Sturmschritt vordringende Preußische Garde eröffnen. Links von diesem Hause schlagen blutrothe Flammen aus einem großen Gehöfte, den Horizont mit schwärzlichem Dampfe verhüllend. Während um das Dorf schon der Einzelkampf wüthet, ziehen von allen Seiten, einen gewaltigen Ring bildend, die Garde-Regimenter heran. Jenseits der sandigen Chaussee, welche nach dem tiefer gelegenen St. Marie aux Chênes führt, sieht man das Kaiserin-Augusta-Regiment und dahinter eine Batterie postirt. Auf der Chaussee traben höhere Stabs-Offiziere. Auf der anderen Seite schließen sich an das zweite Garde-Regiment, das Kaiser Alexander-Regiment, die Garde-Füsiliere und den äußersten Flügel bilden, auf dem Gemälde nur wenig sichtbar, die Sachsen.“ (1. Beilage der „Berliner Börsen-Zeitung“ Nr. 97 vom 23. Februar 1881, S. 8 – Hervorhebung durch W.-R. Wagner)
Welche Einschränkungen für die Künstler mit der Anforderungen an die „reportagehafte“ Genauigkeit des Ereignisse verbunden waren, geht aus einem Bericht über das „Panorama des Sturmes auf St. Privat in Dresden“ hervor. Über Louis Braun, den Schöpfer des Dresdner Panaromas, heißt es, er habe bereits mit Vorarbeiten zu einem Panorama der Schlacht bei Lützen aus dem 30jährigen Krieg begonnen, „eine solche Aufgabe [muß] für ein warmblütiges, kunstfreudiges Malerherz wie Louis Braun als besonders dankenswerth erscheinen. Und dieß um so mehr, als der Künstler sonst bei der Darstellung seiner Panoramen der Armeerangliste oft mancherlei Zugeständnisse machen muß, so daß oft genug das Kunstwerk, das schließlich aus einer Hand hervorgeht, keineswegs immer daßjenige ist, welches das Ideal seiner Künstlerphantasie gebildet hat, sondern erst die Frucht von mitunter recht schwer geschlossenen und zu Stande gekommenen Kompromissen.“ (Stein 1883/1884, S. 903
Modern sind die Panoramen jedoch nicht nur durch die Darstellungstechniken, die den erhöhten Ansprüchen an Realitätsnähe genügen mussten. Modern sind auch die Geschäftsmodelle, durch die die Realisierung dieser kapitalintensiven Unternehmungen möglich wurde. Hierzu heißt es in einem 1890 veröffentlichten Beitrag zur „Entwicklung der deutschen Panoramamalerei“:
„die neueste großartige Entwicklung des Panoramas [ist] bei uns in Deutschland nicht durch die deutsche Schlachtenmalerei, sondern vielmehr, so unangenehm es uns klingen mag, durch das Großkapital und noch dazu durch außerdeutsches Kapital herbeigeführt worden […]. Ein reicher Holländer, ein Herr Diemont aus Arnheim war es, der zuerst dem Gedanken näher trat, durch deutsche Künstler die deutschen Kriegsthaten von 1870/71 im Rundbilde verherrlichen zu lassen. […] War so das erste deutsche Panorama im großen Stile aus der Anregung eines reichen holländischen Privatmannes hervorgegangen, so wurde das zweite, das dem ersten auf dem Fuße folgte, von einer belgischen Aktiengesellschaft, der société anonyme des Panoramas zu Brüssel, ins Leben gerufen: das Panorama der Schlacht von Gravelotte, von den Berliner Malern Hünten und Simmler vortrefflich ausgeführt.“ (Hausmann 1890. S. 258)
Der hohe Kapitaleinsatz erforderte eine Standardisierung der Rundgemälde, die den „sytematischen Panoramen-Austausch“ zwischen den verschiedenen Standorten ermöglichte. (Hausmann 1890,
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Die in Wien und Brünn erscheinende Tageszeitung Die Presse meldete im August 1890 aus der „baierischen Hauptstadt„:
„Nachdem die hiesige Panorama-Actien-Gesellschaft das Rundbild ‚Schlacht bei Weißenburg‘ vor einigen Wochen um 85.000 Mark an den Besitzer des Frankfurter Panoramas, den Holländer Diemont, verkauft hat, der die ‚Schlacht bei Sedan‘ von Frankfurt nach Newyork bringen ließ und dieses Bild dafür aufstellt, so ist München gegenwärtig ohne ein solches Rundbild und das für diese Ausstellungen erbaute Haus steht leer. Nach eifrigen Bemühungen um einen Ersatz ist es der Gesellschaft nun gelungen, das Wiener Gemälde: ‚Reise des Kronprinzen Rudolf nach Egypten‘ für eine Miethe von 20.000 Mark auf eine Sommersaison zu erhalten.“ (Die Presse vom 19. März 1890, S. 10)
Abbildungen
Abb. Das Malergerüst im Schlacht-Panorama. In: Die Gartenlaube Nr. 45/1884, S. 740
Abb. Straßenschlacht in St. Privat. Aus dem Dresdner Panorama. Gemalt von Professor Louis Braun. In: Ueber Land und Meer 1883/1884 Bd. 51, S. 905
Literatur
Hausmann, S. [1890]: Die neueste Entwicklung der deutschen Panoramamalerei. In: Die Kunst für alle H. 17/ Juni 1890. S. 257 – 263
o. V. : Das grosse Panorama [1881]. In: Österreichische Kunst-Chronik vom Nr. 22, 3. März 1881, S. 196 f.
Stein, Philipp [1883/1884]: Das Panorama des Sturmes auf St. Privat in Dresden. In: Ueber Land und Meer 1883/1884 Bd. 51, S. 903