Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck hatte 1867 von den 400.000 Talern, die ihm als Dotation nach dem Deutsch-Österreichischen Krieg bewilligten worden waren, das Rittergut Varzin in Pommern erworben. In Varzin verpachtete Bismarck Land, Wasserkraft und Gebäude an einen Betreiber von Papiermühlen, der eine Fabrik zur Erzeugung von Holzschliff und Papier errichtete. In der Wiener Landwirtschaftlichen Zeitung vom 30. Juni 1880 findet sich auf S. 404 zu Bismarcks Aktivitäten als „Papiermüller“ in Varzin folgende Anmerkung:
„Es dürfte interessant sein zu erfahren, daß die Herrschaft Varzin des Fürsten Bismarck erst durch Anlegung von zwei als Papierfabriken […] ausgerüsteten Holzschleifereien, mit Benutzung großer Wasserkräfte rentabel wurde, während die Waldungen vorher durch Holzkohlenlieferung für Eisenhammerbetrieb für minimale Gelderträge förmlich devastirt wurden.“
Die Papiermühlen, die ab 1890 unter dem Namen Varziner Papierfabrik AG firmierten, entwickelten sich zum größten Industrieunternehmen in Ostpommern. In einem 1895 erschienenen, 5½ kg schweren Prachtwerk über Bismarck heißt es:
„Mit derselben Freude wie der Besitzer verfolgte der Fürst das rasche Aufblühen der Varziner Fabriken, und oft ließ er auf seinen Spazierfahrten den Wagen halten, um […] bewundernd die Arbeit der riesigen Maschinen zu betrachten, die vor seinen Augen, fast geschwinder als die Blicke ihnen folgen können, aus einem dünnflüssigen Gemisch von Holzfasern und Leim zum Gebrauch fertiges, starkes Papier herstellten, das nach allen Weltteilen versandt wird.“ (Allers 1895, S. 172)

Bismarcks Aufenthalte auf dem Rittergut Varzin spielen eine Rolle im Roman Effi Briest und auch Bismarck als „Papiermüller“ findet hier Erwähnung. Bei einem Besuch des Ehepaars von Innstetten im Gasthaus „Zum Fürsten Bismarck“ bezeichnet Gastwirt Golchowski den Reichskanzler Bismarck als „Papiermüller“, also als Besitzer einer Papiermühle. (Kap. 11) Man kann davon ausgehen, dass diese Bemerkung für die zeitgenössische Leserschaft des Romans verständlich und nachvollziehbar ist, da in den zahlreichen Berichten über Bismarcks Gut in Varzin nicht nur der Waldreichtum eine Rolle spielt, sondern auch über Bismarcks Pläne, den Waldreichtum wirtschaftlich zu nutzen, geschrieben wird. So sind einem ausführlichen Bericht über Varzin im Familienblatt Daheim der Waldreichtum der Gegend und die Holzpapier- und Pappenfabriken, „die, mit aller Kunst der Neuzeit von Pächtern betrieben, reichen Ertrag abwerfen“, ein Thema. (Daheim 1886 S. 234)
Der „kulturfördernde Rückgang der Papierpreise“ *
Papiermühlen – und nicht nur die in Ostpommern – haben durchaus eine Bedeutung für Fontanes Erzählstil. Fontane kann nur so souverän mit scheinbar beiläufigen Anspielungen auf zeitgenössische Ereignisse und Themen arbeiten, weil er sich darauf verlassen kann, dass er hier Wissensbestände abruft, die seiner Leserschaft durch die auflagenstarken Zeitschriften vertraut sind. Zeitschriften wie Die Gartenlaube mit einer Auflage von 380 000 Exemplaren (1874) wären aber nicht ohne Fortschritte in der Papierproduktion und den damit verbundenen Rückgang der Papierpreise möglich gewesen. (Im Buch 2. Aufl. dazu „‚Die Gartenlaube‘ und die ‚Moderne'“ S. 215 – 226.)
1869 wird in einem Bericht als Beispiel für die Leistungsfähigkeit des Leipziger Buchhandels ausgeführt, dass sich der Papierbedarf für die zu diesem Zeitpunkt in einer Auflage von 270.000 Exemplaren gedruckten Gartenlaube „auf 600 Ballen oder 30 Millionen Bogen im Gewicht von 14,100 Centner […] jährlich beläuft und daß die Druckerei, welche vermittelst Dampfbetriebes 15 Schnellpressen größten Formats, sowie 6 Satinirmaschinen Tag und Nacht nur allein für dieses Unternehmen beschäftigt, mit der Herstellung und dem Druck einer einzigen Nummer über vierzehn Tage zu thun hat.“ (H. F. 1869, S. 422)
Anzumerken wäre mit Blick auf die Varziner Holzpapiermühlen, dass diese kein Papier für den Druck von Zeitungen und Zeitschriften lieferten, sondern, wie ein zeitgenössischer Publizist schreibt, „ein starkes Papier bereiten, das theils in seiner braunen Naturfarbe, theils roth oder blau gefärbt in den Handel kommt und vorzüglich zur Verpackung von Waaren benutzt wird.“ (Busch 1879, S. 374 f.)
*Anonymus [1884]: Papierverbrauch der Hauptländer der Erde. Polytechnisches Journal Band 252/1884, S. 134
Papierstatistik. Wohl ironisch hat man unserm Jahrhundert, welches sonst ‚das eiserne‘ genannt wird, auch den Beinamen des ‚papiernen‘ gegeben. Aber diese Benennung hat ihre gewisse Berechtigung, denn der Verbrauch dieser leichten Waare ist in der That überraschend groß. Nach einer uns vorliegenden Statistik existieren in der Welt 3985 Papierfabriken, die jährlich 952 Millionen Kilogramm Papier herstellen. Die Zeitschriften allein verbrauchen davon gegen 300 Millionen Kilogramm. Auf die einzelnen Länder vertheilt sich der Verbrauch des Papiers ziemlich ungleich; denn wie unser Gewährsmann berechnet, consumiren jährlich; ein Engländer 11½ Pfund, ein Amerikaner 10¼ Pfund, ein Deutscher 8 Pfund, ein Franzose 7½ Pfund, je ein Italiener und Oesterreicher 3½ Pfund, ein Mexicaner 2 Pfund, ein Spanier 1½ Pfund und ein Russe 1 Pfund Papier. (Die Gartenlaube H. 29/1884, S. 488)
Friedrich Gottlob Keller entwickelte um 1840 das noch heute übliche Verfahren zur Papierherstellung mittels Holzschliff und schuf damit die Grundlage zur industriellen Großherstellung billigen Papiers.
„Der Holzschliff hat in der Gegenwart ungeheure Bedeutung gewinnen, er ist in der Papierfabrikation unentbehrlich geworden. Obwohl er zur Papiererzeugung nicht ausschließlich dient, ist er doch als billiger Zusatzstoff sehr geschätzt und die meisten billigen Papiere enthalten mehr oder minder große Holzschliffmengen, welche mit zähen Faserstoffen vermischt sind. […] So führte Keller dem Papiergewerbe nicht nur den werthvollen Ersatzstoff zu, sondern er schuf auch eine neue Verwendung des Holzes, kurz, er begründete eine bis dahin unbekannte, großartige Industrie. Keller [selbst] hat aus seiner Erfindung keinen erheblichen Geldnutzen gezogen.“ (Grosse 1892, S. 443f.)
Die Verarbeitung des Holzes zu Papier ist eine Errungenschaft unseres Jahrhunderts.
Früher fertigte man das Papier ausschließlich aus Hadern, die in Wasser gefüllten Mahlwerken zu Fasern zerkleinert, gebleicht, gefärbt und dann als Brei zu dünnen Bogen geschöpft wurden. Bis zum ersten Viertel unseres Jahrhunderts genügte dieses Verfahren, die vorhandenen Hadern reichten zur Deckung des Bedarfes vollständig aus. Da gewann die neuerfundene Papiermaschine allmählich Verbreitung, die Papiererzeugung nahm andere Gestalt an, und die mühsame Handarbeit ward mehr und mehr durch die vielleistende Maschinenarbeit verdrängt. Das Papier konnte mit der Maschine billiger hergestellt werden, was allgemeinere Verwendung desselben zu gewerblichen Zwecken und dadurch Steigerung des Bedarfes zur Folge hatte. Dazu kam die Einführung der von König erfundenen Buchdruckschnellpresse, welche eine Vermehrung der Druckerzeugnisse, besonders der Zeitungsliteratur nach sich zog. Der Papierbedarf steigert sich infolgedessen von Jahr zu Jahr, und bald sah man der Zeit entgegen, in welcher die vorhandenen Hadern nicht annähernd mehr zur Erzeugung des nöthigen Papieres ausreichen würden. Sollten die Papiermaschine und die Schnellpresse ihre volle Macht entfalten, so war es nöthig, einen Rohstoff ausfindig zu machen, welcher geeignet war, die Hadern theilweise zu ersetzen.(Grosse 1892, S. 442)
Eine Papierstatistik der „Gartenlaube“
Eine Papierstatistik der „Gartenlaube“. Ein Leser unseres Blattes richtete vor Kurzem an uns die Frage, wie viel Papier zum Drucke der „Gartenlaube“ seit ihrer Gründung wohl verbraucht wurde. Um seine Neugierde zu befriedigen, stellten wir eine Berechnung zusammen, die zu so überraschenden Resultaten führte, daß wir beschlossen haben, sie auch weiteren Kreisen an dieser Stelle bekannt zu geben.
Vom Jahre 1853 bis zum Schlusse des Jahres 1885 sind von der „Gartenlaube“ zusammen 356 980 000 Nummern gedruckt, welche die Zahl von 6 856 000 Jahrgängen oder Bänden ergeben, während die Zahl der Druckbogen rund 900 000 000 beträgt. Würde man diese Bogen in einer Linie an einander legen, so könnte man mit denselben 14½ Mal die Erde am Aequator umspannen. Die Länge dieses Papierstreifens würde die Länge sämmtlicher Eisenbahnlinien der Welt nicht nur decken, sondern dieselbe noch um rund 200 000 Kilometer übertreffen. Mit diesem Papierstreifen könnte man auch den Mond mit der Erde verbinden und dann den Rest desselben noch fünfmal um die Erde wickeln.
Würden wir aber alle Bogen ausbreiten und mit denselben eine Fläche zu bedecken suchen, so kämen wir zu dem gewiß überraschenden Resultat, daß wir mit ihnen nicht einmal den Bodensee überspannen und kaum das 316 Quadratkilometer große Fürstenthum Reuß älterer Linie bedecken könnten.
Noch überraschender fällt folgender Vergleich aus. Legen wir die einzelnen Bände auf einander, so erreichen wir dadurch die imposante Höhe von etwa 320 000 Metern, welche die Höhe des höchsten Berges der Erde des Gaurisankar 36 Mal und diejenige des Mont-Blanc beinahe 67 Mal übertrifft. Würden wir aber alle Bände in einem Raum unterbringen, welcher der großen Cheopspyramide entspricht, so müßten wir wahrnehmen, daß diese ganze Papiermasse nur hinreichen würde, um den dreißigsten Theil derselben vollzupfropfen! Wenn ferner das größte deutsche Kriegsschiff „König Wilhelm“ vor die Aufgabe gestellt werden sollte, alle Bände nach einer Insel zu schaffen, so müßte es 16 Mal vollgeladen werden, bis es den Transport bewerkstelligte. Und das Gewicht dieser Bände? In runder Summe dürfte es 190 000 000 Kilogramm betragen und, auf gewöhnliche Lowrywagen der Eisenbahn verpackt, 4250 derselben füllen. 85 Eisenbahnzüge zu je 50 Wagen wären nöthig, um diese Gewichtsmasse zu befördern. Wollte aber ein Mensch versuchen, alle Seiten, die in den 6 856 000 Bänden enthalten sind, zu zählen, so würde er das niemals zu Stande bringen; denn selbst wenn er Tag und Nacht zählte und zur Nennung jeder Zahl nur eine Sekunde brauchte, so würde diese Arbeit doch die Zeit von 228 Jahren, 3 Monaten, 23 Tagen und 8 Stunden erfordern. (Die Gartenlaube H. 1/1886, S. 20)
Abbildungen
Abb. Varziner Papierfabrik – Werk Hammermühle. Aus: Allers 1895, S. 172
Abb. Papierfabrikation – Meyers Konversationslexikon Bd. 12/1877 – Zum Artikel „Papier“
Abb. Friedrich Gottlob Keller – Erfinder des Holzschliffpapiers
Abb. Rotations-Buchdruckmaschine – konstruiert für den Druck von Meyers Konversationslexikon
Literatur
Allers, Christian Wilhelm [1895]: Unser Bismarck. Stuttgart, Berlin u. Leipzig: Union „Deutsche Verlagsgesellschaft“
Busch, Moritz [1879]: Neue Tagebuchblätter des Verfassers von ‚Graf Bismarck und seine Leute‘. Leipzig: Verlag von Fr. Wilh. Grunow
H. F. [1869]: Der Leipziger Buchhandel. In. Die Gartenlaube H. 27/1869, S. 422 – 424
Grosse, Eduard [1892]: Erfinder-Lose. Friedrich Gottlieb und das Holzschliffpapier. In: Die Gartenlaube H. 14/1892, S. 442 – 444
Zapp, I. [1880]: Die Papierstoffe aus Holz. In: Wiener Landwirtschaftliche Zeitung vom 30. Juni 1880, S. 403 f.