„Unsere Zeit ist die Zeit der Illustration. Bücher ohne Abbildungen haben im allgemeinen keine besondere Zugkraft mehr, unsere Unterhaltungslitteratur muß illustriert sein: die Abbildungen sind in einem großen Teil derselben die Hauptsache!“ (Stockbauer 1894, S. 308)
Im Roman finden sich vielfältige Hinweise auf die Medien- und Kommunikationskultur in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aus diesen scheinbar beiläufig eingestreuten Hinweisen und Anspielungen lassen sich wichtige Ausschnitte der Kommunikations- und Medienverhältnisse im ausgehenden 19. Jahrhundert rekonstruieren.
An Effis Polterabend wird ein „Lebendes Bild“ aufgeführt. (Kap. 4) Unter „Lebenden Bildern“ verstand man die „Darstellungen von Werken der Malerei und Plastik durch lebende Personen“. (Meyers Konversations-Lexikon 1877, S. 651)
Voraussetzung für die Popularität „Lebender Bilder“ als gehobener Form der Unterhaltung in bürgerlichen Kreisen war die durch neue Drucktechniken mögliche Ausweitung der Bildproduktion und der dadurch eröffnete Zugang zu Abbildungen aller Art in Kopien, Zeitschriften, Büchern und Bildbänden.
Wenn in diesem Zusammenhang von einer „optischen Revolution“ die Rede ist, dann handelt es sich dabei nicht um eine Einschätzung, die sich erst aus der Perspektive von heute ergibt. (Im Buch „Drucktechniken und die optische Revolution“ S. 69 – 82) Viele zeitgenössische Beobachter verwenden ähnliche Begriffe, sprechen z. B. vom „gewaltigen Einfluß“ der graphischen Künste auf „unser ganzes Kulturleben“.
Allerdings gab es auch Stimmen, die zwar nicht allgemein vor der „Bilderflut“ warnten, aber sich gegen die Tendenz aussprachen, alles und jedes zu illustrieren. So ist in der Zeitschrift Die Grenzboten mit Bezug auf die 1883 erschienene „erste illustrierte Ausgabe von Heinrich Heines ‚Buch der Lieder‘“ von der „Illustrirmühle unserer Zeit“ die Rede. Die Kritik richtet sich hier gegen den Versuch, lyrische Gefühle und Stimmungen illustrieren zu wollen. (Die Grenzboten 1883, S. 627)
Wiedergeburt der graphische Künste
„Das 19. Jahrhundert oder strenger genommen dessen zweite Hälfte, darf auf die Bezeichnung des Zeitalters der Wiedergeburt der graphische Künste überhaupt und der Buchdruckerkunst im besonderen Anspruch machen. Die wiederum deutsche Erfindung der Schnellpresse und später des Rotationsdruckes, die Wiedergeburt des Holzschnittes, die Erfindung des Steindruckes, die Erfindung der Photographie und der auf ihr beruhenden Verfahren, wie Autotypie u.s.w., dann die Galvanoplastik, endlich der Aufschwung des Farbendruckes, alle diese Faktoren haben eine Entwicklung des Buch- oder Zeitungswesens hervorgerufen, die man noch vor 50 Jahren in das Reich der Träume verwiesen hätte, und den Erzeugnissen der Presse eine Bedeutung verliehen, die weit über die Entwicklung der ersten Erzeugnisse des Buchdruckes auf den Kulturfortschritt hinausgeht.“ (Hamann 1899, S. 54 f.)
„In unserem nun zur Neige gehenden Jahrhundert hat die Technik gewaltige Triumphe gefeiert und nicht zuletzt auf dem Gebiete der Buchherstellung. Wer wollte behaupten, daß wir schon im Zenith der Entwicklung ständen, und doch, wenn wir uns umschauen, überall stoßen wir auf eine Vollendung und Vollkommenheit, von der man sich – besonders im Illustrationswesen im vorigen Jahrhundert keinen Begriff hätte machen können.“ (Hamann 1899, S. 303)
Der gewaltige Einfluß der graphischen Künste auf das Kulturleben
„Die graphischen Künste in ihrer jetzigen Vervollkommnung sind, besonders auch soweit sie illustrativer Natur, auf unser ganzes Kulturleben von gewaltigem Einfluß. […] für manche Kreise muß die Belehrung durch Illustrationen den Unterricht durch Buchstaben ersetzen. Was ist es anders als ein Unterricht durch ‚Bilderbesehen‘, wenn wir den Journalzirkel, die oft schon abgegriffenen ‚neuen Hefte‘, durchblättern. Es will doch wohl niemand behaupten, daß der große Teil solcher Leser überhaupt ernsthafte Belehrung, es sei denn aber durch die Bilder, in diesen Zeitschriften sucht. Die illustrierten Familienblätter, die für ihren Zweck sogar eigene Romantypen kultivieren, haben denn auch dem Geschmacke des Publikums Rechnung getragen und eine Zeitschrift ist immer illustrierter als die andere geworden, sogar die farbigen Drucke sind bereits ins Feld geführt.
Während nun hier die Illustration weniger dringenden Bedürfnissen dient, hat sie andererseits einen ernsteren Zweck zu erfüllen, indem sie der Wissenschaft und dem Unterricht nutzbar gemacht worden ist. Wir können uns manche Werke heute garnicht mehr ohne Bilder denken und wenn wir z. B. zum Brockhaus-Lexikon greifen, betrachten wir es als selbstverständlich, daß das Werk uns durch instruktive Tafeln den Text erläutert. Wir haben uns neuerdings sogar derart an Illustrationen gewöhnt, daß wir die größten Kunstwerke der graphischen Industrie als etwas ganz selbstverständliches betrachten, z. B. Plakate in den wundervollen Ausführungen, entworfen von ersten Künstlern, reproduziert von den besten Anstalten, treten uns auf Schritt und Tritt entgegen und der neueste Sport, die Ansichtspostkarten, denen sich die sogenannten Künstlerkarten beigesellten, droht bedenkliche Dimensionen anzunehmen. Der Umstand, daß eine einzige Platte eine ungeheure Vervielfältigung gestattet, hat es mit sich gebracht, daß der einzelne Abzug, mag er auch künstlerisch noch so vollendet sein, doch an Wert verloren hat und wir haben uns bereits daran gewöhnt, für die Erzeugnisse der Pressen nicht mehr zu hohe Preise anzuschlagen.“ (Hamann 1899, S. 317f.)
Literatur
Die Grenzboten 1883/4. Quartal: Das diesjährige Prachtwerk, S. 623 – 629
Hamann, Ludwig [1899]: Der Umgang mit Büchern und die Selbstkultur. Leipzig: Verlag von Ludwig Hamann, 2. Aufl.
Meyers Konversations-Lexikon [1877]: Bd. 10. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 3. Auflage
Stockbauer, Jakob [1894]: Die moderne Illustration. Der Bazar. Illustrirte Damen-Zeitung Nr. 28/1894, S. 308f.