Telegrafieren in Hinterpommern

Heute werden Telegramme von der Post nur noch als Unvergessliche Nachricht für den besonderen Anlass beworben, da Telegramme durch schnellere und direktere Kommunikationsmöglichkeiten abgelöst wurden. In der Zeit, in der die Handlung von Effi Briest anzusiedeln ist, ist der Austausch von Telegrammen auch für Privatleute schon seit längerem möglich. Da auch die Telegrafeneinrichtungen der Eisenbahnen von Privatleuten genutzt werden können, steht ein gut ausgebautes Telegrafennetz zur Verfügung. (im Buch 2. Auflage „Die Telegrafie als ‚Wohlthat der Staatseinrichtung‚“ auf den Seiten 232 ff.)

Stenographische BerichteIn der Beratung über den Haushalt der Reichspost- und Telegraphenverwaltung im Januar 1896 verweist Heinrich von Stephan, Staatssekretär des Reichspostamts, darauf, dass sich seit 1870 die Zahl der aufgegebenen Telegramme im Deutschen Reich von 7 Millionen auf 33 Millionen erhöht habe. Seit der Übernahme des Amtes im Jahre 1875 habe er von Anfang seine „Aufmerksamkeit darauf gerichtet, dieses Institut zu popularisiren, es volksthümlich zu machen. Damals war es wesentlich in den Händen der ersten Gewerbetreibenden, der kräftigsten Kapitalisten, der Börse, der großen Handelsfirmen, der Seehäfen und dergleichen.“

Die Nutzung der Telegrafie habe sich seit dieser Zeit tatsächlich geändert, wie eine von ihm in Auftrag gegebene Statistik zeige:

„Es hat sich nach dieser Statistik gezeigt, daß nur 34 Prozent  dieser Art [Börsenhandel, Arbitragegeschäft u.s.w.] waren. 10 Prozent kommen auf Staatsdepeschen, Zeitungsdepeschen; die übrigen 56 Prozent entfallen auf den Gemüthsverkehr, Familienangelegenheiten u.s.w., den kleinen Geschäftsmann, den Handwerker. Das sich doch äußerst wichtige Zahlen, und ich kann sagen, ich habe eine Genugthuung darüber empfunden, daß es durch die Ermäßigung des Tarifs und die Vervollkommnung des Telegraphen gelungen ist, daß nun auch der kleine Mann immer mehr zu Telegraphiren fortschreitet, und daß die Telegraphie in der That ein volksthümlichen Institut wird.“ (Reichstagsprotokolle 1895/97, 1)

Ostseeküste Kolberg - Danzig

Der Ausbau des Telegrafennetzes steht für die Dynamik der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung und liefert wichtige Hinweise für die Entwicklung der Medien- und Kommunikationskultur in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diese Dynamik hat in der Zeit, in der der Roman spielt – zumindest mit Bezug auf die Telegrafie – schon längst auch Hinterpommern erreicht. So werden in Effi Briest Telegramme verschickt – von St. Peterburg nach Kessin, von Berlin nach Kessin und zurück sowie von dem märkischen Rittergut der Briests nach Berlin.

Landrat von Instetten wohnt mit seiner Frau Effin Kessin. Manches an der Beschreibung dieses fiktiven Ortes in Hinterpommern erinnert an Swinemünde, der Stadt, in der Fontane einige Jahre seiner Jugend verbracht hat. Dass Kessin nicht Swinemünde ist, ergibt sich schon daraus, dass das Dorf Varzin und das Gut des Reichskanzlers Bismarck über 200 km entfernt lägen, also ein kurzer abendlicher Besuch des Landrats beim Reichskanzler nicht möglich gewesen wäre. Versucht man sich einen Eindruck zu verschaffen, welchen Stand die Telegrafie zu der Zeit, in der die Handlung des Romans angesiedelt ist, erreicht hat, bietet sich jedoch ein Blick auf die Situation Swinemünde und Varzin an.

Swinemünde als  Hafenstadt und Umschlagsplatz für Waren wurde schon früh an das Reichstelegrafennetz angebunden. Schon 1851 wurde eine Verbindung zwischen Swinemünde und Stettin in Betrieb genommen. Eine Verbindung zwischen Stettin und Berlin bestand bereits seit 1849. Seit 1849 hatte die preußische Regierung auf dieser und anderen Linien ihre Telegrafeneinrichtungen für den Privatverkehr freigegeben. (nach Wessel 1983, S. 163, 154 u. 160)

Swinemünde war zudem seit den 1870er Jahren über eine die Eisenbahnverbindung Berlin-Stettin zu erreichen. Auch solange diese Strecke von einem privaten Eisenbahnunternehmen betrieben wurde, galten hier die allgemeinen Bestimmungen für das Signalwesen. Danach mussten alle Haltestellen mit elektromagnetischen Telegraphen ausgestattet sein. Die dadurch gegebenen Kommunikationsmöglichkeiten konnten auch von der Öffentlichkeit genutzt werden. Wie der Telegraphen-Director Julius Ludewig 1872 in seiner Veröffentlichung über Die Telegraphie in staats- und privatrechtlicher Beziehung vom Standpunkt der Praxis und des geltenden Rechtes schreibt, wurden ab 1858 zunächst die Staats- und unter königlicher Verwaltung stehende Eisenbahnen und später die Privateisenbahnen „in Folge ministerieller Verfügung zur Annahme und Beförderung von Privatdepeschen autorisiert„. Dies betraf  auch die Berlin-Stettiner Eisenbahn. (Ludewig 1872, S. 55)In Hammermühle, in nur sechs Kilometer Entfernung von Varzin, befand sich seit 1878 eine Bahnstation und somit eine weitere Zugangsmöglichkeit zum Telegraphennetz.

Bis zur Verstaatlichung der preußischen Privatbahnen im Jahr 1879 befand sich die Hälfte aller Telegraphenstationen in Hand privater Eisenbahnunternehmen.

Einem Beschluß des Vereins Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen vom Juni 1871 zufolge mußte jede Eisenbahn zur Verbindung der Haltepunkte untereinander mit einem elektromagnetischen Telegraphen ausgerüstet sein; für zweckmäßig erachtete man darüber hinaus auch einen Anschluß der Wärterstationen und für wünschenswert wurde eine Korrespondenzmöglichkeit von der Strecke gehalten.“ (Wessel 1983, S. 315 – Wessel bezieht sich auf Anhang II, S. 13, Pkt. D: Signalwesen, in: Statistik der Preußischen Eisenbahnen für 1870, Bd. XVIII, Berlin 1871)

Reglement über die Benutzung der innerhalb des deutschen Reichs-Telegraphengebiets gelegenen Eisenbahnen zur Beförderung solcher Telegramme, welche nicht den Eisenbahndienst betreffen. Vom 8. März 1876

§ 2 Die Eisenbahn-Telegraphenstationen dürfen Telegramme annehmen:

a) wenn keine Reichstelegraphenanstalt an demselben Ort ist: von jedermann,

b) wenn eine Reichs-Telegraphenanstalt an demselben Ort ist: nur von solchen Personen, die mit den Zügen ankommen, abreisen oder durchreisen.

§ 3 Die telegraphische Korrespondenz ist ohne Rücksicht darauf, ob sie ausschließlich oder nur streckenweise auf Bahntelegraphen ihre Beförderung erhält, den Bestimmungen der jeweiligen Telegraphenordnung für das Deutsche Reich unterworfen. ( Zentralblatt für das Deutsche Reich 1876, S. 156)

„[…] es wird mit der Zeit dahin kommen, daß jedes Dorf im Deutschen Reich seine eigene Post- und womöglich seine eigene Telegraphenanstalt hat, und damit wäre, man kann wirklich sagen, der ideale Zustand herbeigeführt.“ (H. v. Stephan in Reichstagsprotokolle 1895/97, 1)

Eine entscheidende Rolle für den Ausbau des Telegrafennetztes spielte die Einführung des Telefons. Als amerikanische Zeitungen 1877 über das von Graham Bell entwickelte Telefon Postdienstvereinfachung Kladderadatsch Nr_4 1878_grauberichteten, erkannte Heinrich Stephan*, der Generalpostdirektor des Deutschen Reichs, sofort, dass sich mit Hilfe des Telefons die Möglichkeit bot, das Telegrafennetz ohne kostspielige Telegrafenapparate und ohne besonders ausgebildetes Personal zu erweitern.

„Der Herr General-Postmeister […] lässt jetzt eine grössere Anzahl von Telephonen herstellen. Mit denselben werden dem Vernehmen nach zunächst eine Anzahl von kleineren Postorten in der Nähe von Berlin ausgerüstet werden, um zu erproben, inwieweit sich die Telephonie zur directen Uebertragung von Telegrammen ohne Schreibapparat eignet. Die Richtung der bereits angestellten Versuche deutet darauf hin, dass die Reichs-Telegraphen-Verwaltung das neue Instrument zum praktischen Gebrauch in der Nachrichtenübermittlung dienstbar zu machen wissen wird.“ (Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen Nr. 92 vom 23. November 1877, S. 1263

Über telefonische Verbindungen konnten so auch kleinere Orte in das Telegrafenneteingebunden werden. Der Text für Telegramme wurde telefonisch an das nächste Telegrafenamt weitergeleitet bzw. der Text dort eintreffender Telegramme konnte telefonisch an ihren Bestimmungort, in dem es kein Telegrafenamt, aber eine Poststelle mit Telefonanschluss gab, weitergeleitet werden. 1885 heißt es in einem Buch über die „Post und Telegraphie im Weltverkehr“ über diese Entwicklung in Deutschland: „Auf diese Weise ist auch das platte Land bereits der Wohlthat des Anschlusses an das Telegraphennetz in einem Umfang theilhaftig geworden, wie dies in keinem anderen Lande der Fall ist.“ (Veredarius 1894, S. 273)

Bells Telephone IZ Nr_1796_1877 S_445Die Integration des Telefons in den öffentlichen Nachrichtendienst wurde möglich, weil im Deutschen Reich im Unterschied zu den meisten anderen Ländern die Post- und Telegrafendienste als staatliches Monopol betrieben wurden. Staatliche Monopolbetriebe waren freier in ihren Investitionsentscheidungen, da diese nicht ausschließlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten getroffen wurden. Hierzu ein Zitat aus einem Beitrag in der Zeitschrift Die Gartenlaube: Diese schnelle Einstellung des Telephons, welches seit Jahr und Tag in Amerika nur zu nebensächlichen Zwecken benutzt wurde, in den öffentlichen Dienst ist, worauf wir nicht unterlassen wollen, hinzuweisen, ist charakteristisch für die energische Leitung des deutschen Post- und Telegraphenwesens.“ (Die Gartenlaube, Heft 1877/50, S. 847)

*Heinrich von Stephan wurde 1885 geadelt.

Abbildungen

Karte der Ostseeküste zwischen Kolberg und Danzig um die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg

Postdienstvereinfachung. In: Kladderadatsch Nr. 4/1878 Erstes Beiblatt

Bells Telephone. In: Illustrirte Zeitung Nr. 1796/1877, S. 445

Literatur

Ludewig, Julius [1872]: Die Telegraphie in staats- und privatrechtlicher Beziehung vom Standpunkt der Praxis und des geltenden Rechtes. Zur Orientirung für ausübende Beamte und das den Telegraphen benutzende Publikum. Leipzig: Wilhelm Baensch Verlagshandlung

Reichstagsprotokolle 1895/97, 1 – http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt_k9_bsb00002756_00428.html

Veredarius, O. [1885]: Das Buch von der Weltpost, Entwickelung und Wirken der Post und Telegraphie im Weltverkehr.  Berlin: J. Meidinger

Wessel, Horst A. [1983]: Die Entwicklung des elektrischen Nachrichtenwesens in Deutschland und die rheinische Industrie. Von den Anfängen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag

 

 

 

 

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