„Nicht mehr das ‚Jahrhundert des Dampfes‘, nein, das ‚Zeitalter der Elektrizität‘ will die Jetztzeit genannt sein.“ ( Wilke 1893, S. 2)
Als Effi nach der Rückkehr von ihrer Hochzeitsreise am ersten Morgen in Kessin aufwacht, hatte sie Mühe sich zurechtzufinden. „Allmählich entsann sie sich auch, daß Geert am Abend vorher von einer elektrischen Klingel gesprochen hatte, nach der sie denn auch nicht lange mehr zu suchen brauchte; dicht neben ihrem Kissen war der kleine weiße Elfenbeinknopf, auf den sie nun leise drückte.“ (Kap. 7) Die „erst vor kurzem hergerichtete“ Klingelanlage, die das Schlafzimmer und die Küche mit der „Mädchenstube“ verband, wird auch in den beiden folgenden Kapiteln des Romans erwähnt. („Zur Haustelegraphie“ im Buch 2. Aufl. auf den Seiten 230 ff.)Wie diese Neuerung im Hause Landrats einzuordnen ist, erschließt sich über eine Anmerkung im „Handbuch der elektrischen Telegraphie“ aus dem Jahre 1881. Hier heißt es, die „Haus-Telegraphen“ hätten „in feineren Wohnhäusern die Klingelzüge verdrängt.“ (Zetzsche 1881, S. 70)
Aus heutiger Sicht erscheint eine elektrische Klingelanlage vielleicht erwähnenswert mit Blick auf die Organisation eines großbürgerlichen Haushalts. In der Zeit, in der die Handlung spielt und Fontane den Roman schrieb, sind elektrische Klingeln Ausgangspunkt für die Entwicklung der „Haustelegraphie“, deren „Hauptzweck […] die Erzeugung von Klingelsignalen mittels des Stromes“ ist. (Wilke 1893, S. 472)*
Nicht vergleichbar mit dem Ausbau der nationalen und internationalen Telegrafennetze steht die Entwicklung der „Haustelegraphie“ jedoch für die Anwendung der Elektrizität im Alltag.
In der 1893 erschienenen Auflage des Buches Die Elektrizität, ihre Erzeugung und ihre Anwendung in Industrie und Gewerbe heißt es, bei der „Haustelegraphie“ handele es sich um ein „Gebiet der Telegraphie, das zwar nur bescheidene Ziele verfolgt, aber trotz seiner technischen Beschränkung eine ganz außerordentliche Ausdehnung gewonnen hat, da die telegraphischen Anlagen, welche ihm zugehören, man darf sagen, in Palast und Hütte zu finden sind, sich über die ganze Erde verbreitet haben und eine große blühende Industrie haben entspringen lassen. Wir meinen die Haustelegraphie, die Technik jener Anlagen, welche die Ersetzung des guten alten Klingelzuges durch den stromdurchflossenen Draht hat entstehen lassen. Käme die Zahl für die Bedeutung eines elektrotechnischen Gebietes in Frage, so stände die Haustelegraphie zweifellos vornan in der Reihe der einzelnen Anwendungen des Stromes, denn die Zahl der elektrischen Klingeln, die zur Zeit in Betrieb sind, reicht in die Million hinein, und die jährliche Erzeugung derselben geht in die Hunderttausende. Rechnet man hierzu die für solche Anlagen benötigten Elemente, Druckknöpfe, Tableaus, die Leitungsanlagen, so wird man erkennen, daß diese Industrie alljährlich eine ganz bedeutende Produktion aufweist und ihr jährlicher Umsatz sich auf manche Million Mark beläuft. Sie ist auch von einer andern Seite von Bedeutung, indem sie namentlich dem kleineren und mittleren Gewerbetreibenden Nahrung gibt und die Anlage der Haustelegraphen vielfach als eine lohnende Nebenbeschäftigung von Handwerkern betrieben wird, was wiederum die erfreuliche Wirkung für die Elektrotechnik gehabt hat, ihr in diesen Kreisen Interesse zu wecken und aus denselben die Monteure für die Starkstromanlagen zuzuführen.“ (Wilke 1893, S. 472)
Noch wurden im Haus des Landrats die Lampen angezündet, aber der „Zugriff“ auf die Hausangestellten erfolgte bereits batteriebetrieben elektrisch. Später in der kleinen Wohnung in Königgrätzer Straße gibt es keine elektrische Klingel, sondern hier muss Effi wieder an einer mechanischen Klingel ziehen, um Roswitha herbeizurufen. (Kap. 33)
*Die Stromerzeugung für die Haustelegraphie erfolgte durch Batterien. Nach Wilke „empfiehlt sich als zweckmäßigstes Element für Anlagen dieser Art das Leclanché-Element in seinen verschiedenen Formen.“ (Wilke 1893, S. 474) „Leclanché-Element“ war die Bezeichnung für heute nicht mehr verwendete Nassbatterien.
Abbildungen
Abb. Druckknopf; Außenansicht – Wilke 1893, S. 480
Abb. Druckknopf; Mechanismus – Wilke 1893, S. 481
Abb. Rasselklingel – Wilke 1893, S. 476
Literatur
Wilke, Arthur [1893]: Die Elektrizität, ihre Erzeugung und ihre Anwendung in Industrie und Gewerbe. Leipzig und Berlin: Otto Spamer
Zetzsche, K. E. (Hrsg.) [1881]: Handbuch der Elektrischen Telegraphie. Bd. 4 Die Elektrischen Telegraphen für besondere Zwecke. Berlin: Verlag von Julius Springer